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Mit Nele in Gustav Vasas Spuren

 

Seit Jahren habe ich den Traum, einmal mit dem Hund in der Vasalaufspur unterwegs zu sein. Mich beschäftigte die Frage: „Schafft das der Hund?“, aber im Nachhinein schmunzele ich bei dem Gedanken, denn was wir Menschen schaffen, sollte für einen gut trainierten Jagdhund ein Kinderspiel sein.

Gestern war es endlich soweit: alles war sehr spontan. Ich bekam plötzlich und unerwartet die Möglichkeit nach Sälen, dem Startpunkt des Vasalaufes, mitgenommen zu werden und rief sogleich freudig aus: „Au, ja! Wirf mich mit dem Hund in Mångsbodarna raus und wir laufen zurück Richtung Mora – mal sehen wie weit wir kommen, bis du mich auf dem Rückweg wieder einsammelst“.

Die Langlaufskier wurden am Morgen provisorisch mit dem passenden Steigwachs versehen – nichts ähnelte dem sonst vor dem Vasalauf obligatorischen Wachsen am Abend vorher, bei dem ich jedes Jahr akribisch das Temperaturgefälle des Bahnverlaufs von Sälen nach Mora in umgekehrter Reihenfolge aufbügele - und ein paar Butterbrote waren schnell geschmiert.

Mehr Sorgfalt verwendete ich auf das Einreiben der Hundetatzen mit Silikon, denn der anhaftende Schnee kann den Pfoten und seiner Trägerin schon ganz schön zusetzen.

Dann ging es los und gegen 10.00 Uhr standen wir „Mädels“ am Kontrollpunkt „Mångsbodarna“ in der berühmten Vasaloppspår. Das Wetter war nicht ideal, aber das kann man sich am echten Tag des Skirennens auch nicht aussuchen. Es blies ein stürmischer, kalter Nordostwind – der Grund für den Rest der Truppe nach Sälen zu fahren, denn das Fjäll versprach einen guten Snowkite-Tag.

Nach ein paar Metern in den „heiligen Hallen“ des Langlaufs erblickte ich das erste Kilometerschild, auf ihm stand „66“. Wer jetzt glaubt, dass die Gedanken den 66 bis Mora verbleibenden Kilometern galten, liegt falsch. Ich schaute lächelnd auf das Schild, als hielte ich ein Nutellaglas in der Hand auf dem zu lesen ist: „25% extra“. Da der eigentliche Startpunkt in Sälen ohnehin noch nicht präpariert war, hatte ich mir den berühmt berüchtigten Anfangsaufstieg gespart und die Strecke schon mal um einige Kilometer abgekürzt. Der Kontrollpunkt Mångsbodarna war der erste, sehr leicht von der Straße nach Sälen erreichbare Streckenabschnitt.

Die Fahrt begann mit dem „Extra“ im Rücken und einer herrlichen Bonusabfahrt als Beginn.

Wenn ich unter all den anderen Läufern im Vasalaufstrubel unterwegs bin, genieße ich zwar die Landschaft und den Lauf in vollen Zügen, aber bin abgelenkt von Zuschauern, Verpflegungsstationen und Unmengen von Schilden, die teils hinweisen, teils werben.

Nun war die Strecke völlig verwaist und ich sah Dinge, die mir sonst nicht ins Auge gefallen waren. Kleinigkeiten, wie besonders hübsche Häuschen am Streckenrand oder die diversen Schutzhütten mit ihren gemütlichen Feuerstellen.

Wir kämpften uns durch den Schneesturm, passierten den Kontrollpunkt Risberg und steuerten den Evertsberg an. Die Spur war laut Pistenauskunft vor 5 Tagen präpariert worden und ein wenig eingeschneit. Man sah, dass sie unter dem Schnee von niemandem benutzt worden war, jungfräulich lag sie unter einer watteähnlichen Schicht, die sich lief wie auf Wolken. Weich, fast flauschig fühlte sich der Untergrund an und ich glitt dahin, es war wunderbar.

Die Hündin schien den kuscheligen Schnee ebenso zu genießen. Sie wälzte sich vor Freude im weißen Element, als wüsste auch sie, dass es heute etwas Besonderes war und nicht eine unserer täglichen Langlaufskitouren in der Einsamkeit der schwedischen Taiga.

Zwischen Risberg und Evertsberg machten wir unsere erste Rast. Es gab Käsebrot und Kakao für Frauchen und leckeres rohes Elchfleisch für den Hund. Das leichtere und einfacher zu verpackende Trockenfutter schien mir zu unsicher, da ich nicht wusste, ob der Hund mit dem Schnee ausreichend Flüssigkeit aufzunehmen in der Lage war, damit es genügend quellen konnte. Nele hätte sich ohnehin für die Fleischvariante entschieden und fraß mit sichtlich gutem Appetit.

Gestärkt nahmen wir den Aufsieg nach Evertsberg in Angriff und mir kamen auf dieser schwierigen Etappe beflügelnde Gedanken. Ich erinnerte mich an meine diversen Ankünfte im Stadion von Evertsberg. Schon von weitem konnte man das Treiben und den Stadionsprecher hören, hörte applaudierende Menschen – heute war alles still.

Bei einem dieser Zwischenzieleinläufe in Evertsberg hatte ich vor ein paar Jahren plötzlich meinen Namen gehört und war mit einem Male hellwach gewesen. Der Stadionsprecher hieß mich willkommen, berichtete von der Anzahl der Vasaläufe, die ich über die Jahre schon absolviert hatte und schloß seine Lobrede mit den Worten: „...... und welche fantastische Zeit heute, die erste Dame im Feld!“ Da für mich aus Überzeugung als Vasalauf nur der „Öppet Spår“- Lauf in Frage kommt, weil ich genießen und nicht um die Wette laufen möchte, spielt für mich die Platzierung keine Rolle, wohl aber natürlich meine eigene Zeit und der innere Kampf gegen mich selbst. Eine Herausforderung sind 90 km allemal und man hat so seine eigenen Ansprüche. Als führende Dame unterwegs zu sein, fand ich natürlich trotzdem toll, unerwartete Blumen... Es waren sicherlich an dem Tag wieder viele andere schneller, aber ich war sehr früh gestartet und auf jeden Fall vorne mit dabei. An besagtem Tag war die Spur vereist und sehr schnell und man konnte am Beginn des Feldes, welches noch nicht so gedrängt war, gut „laufen lassen“, ohne Angst zu haben, dem Vordermann in die „Hacken“ zu fahren. Es lief wie auf Schienen und meine Endzeit von 6 1/2 Stunden machte mich – damals schon über 40 – recht stolz. Als ich  das Stadion Evertsberg in Richtung Oxberg verließ, hörte ich den Stadionsprecher hinterherrufen: „Jetzt ist es nur noch ein kleiner Marathon – viel Glück“. Diese Worte von damals werde ich nie vergessen: „.. ein kleiner Marathon..“. Einen hatte ich in den Beinen und nun kam noch einer, klein oder groß – Marathon ist Marathon und 90 km sind 90 km – kleine oder große, das ist egal. Damals dachte ich: „Super, Marathon - dann hab ich auf jeden Fall mehr als die Hälfte“. Überhaupt ist die positive Selbstmotivation auf einem solchen Lauf alles. Man sagt nie: „... noch 89 km bis ins Ziel...“ , sondern man sagt: „...noch 10 km bis Smågan...“ usw. Das ist der Trick.

Heute ging es nicht um die Zeit, lediglich hatte sich mein Ehrgeiz insofern zu Wort gemeldet, als dass ich inzwischen dachte: „Vielleicht schaffe ich es sogar bis Mora, bis sie kommen und mich wieder auflesen!“

Natürlich dauerte die Tour viel länger als sonst, da allein die Selbstverpflegung Zeit kostet, das Tragen des Rucksackes Kraft nimmt und ich ab und zu fotografierte, was mir während des Vasalaufes nie in den Sinn käme.

Die Kontrollstation Evertsberg war kaum zu erkennen ohne all das bunte Treiben, ich genoß es allein – nein, nicht allein, sondern mit meiner vierbeinigen Begleiterin durch das Schild: „Bergpreis“ zu schreiten und empfand diese Einsamkeit hier besonders merkwürdig, aber schön. Ich war allein in „meiner Vasaloppspur“ – wie erhebend.

Beim echten Lauf hat man den Zeitnehmer am Bein und weiß, dass Freunde mitfiebernd zu Hause oder am Arbeitsplatz am Computer sitzen und Daumen drücken. In diesem Wissen läuft man nicht allein und beeilt sich zusätzlich, um die Wartenden zu erlösen. Auch wenn zwischen den Stationen in der Regel über eine Stunde vergeht, schauen sie ins Netz, ob man nicht doch schon da ist und dann: „Ja, jetzt ist sie in Oxberg angekommen“. Unsichtbare Bande tragen einen weiter voran  - dem Ziel entgegen.

Gestern wusste es keiner, als wir in Oxberg einliefen, fast kam ich mir vor, als liefe ich heimlich vor der ganzen Welt – mein heimliches Skirennen in der berühmten Arena. Ich hatte als Kind ein Buch, in dem der Held, ein kleiner Skispringer den Traum hatte, von der großen Schanze zu springen. Er kletterte allein die Treppen hinauf und dann stand er dort oben, ganz allein – nur er, seine geliebte Schanze und sein Traum. Ein bisschen so war mir gestern zumute.

Hinter Oxberg war klar, dass mein Shuttle über Mora fahren musste um mich einzusammeln und damit wuchs der Ehrgeiz, es in der verbleibenden Zeit bis dorthin zu schaffen.

Bis hier hatte ich einen einzigen Skiläufer in der Spur getroffen. Er war so unwirklich, dass ich nun gar nicht mehr weiß, ob es wahr oder ob es ein geträumter Troll war. Er trug einen gestrickten Norwegerpulli und eine so genannte Russenmütze. Hatte Vollbart und laut eigener Aussage in seinem Leben schon 37 Vasaläufe vollendet. Ein so genannter Vasalopps-Veteran. Ein solcher ist man nach 30 erfolgreichen Läufen bei Vasalauf oder Öppet Spår, bekommt eine gesonderte Startnummer und als Privileg eine Extrastartspur.

Während des Laufes zeichnen sich die Veteranen dadurch aus, dass sie unbeirrt ihr Tempo laufen, sich durch nichts aus der Ruhe bringen lassen und oft genug gegen Ende des Laufes stereotyp, ein aufmunterndes, freundliches Wort auf den Lippen, scheinbar völlig locker an einem vorbeiziehen. Hut ab vor diesen in die Jahre gekommenen, aber doch jung und vor allem fit gebliebenen, sehnigen Eisenfressern.

Der Weg von Oxberg nach Mora ist eher unspektakulär. Für mich war es gestern die Markierung, die Halbzeit überschritten zu haben und deshalb bedeutungsvoll. Wir flogen dem Ziel entgegen und um uns herum die Schneeflocken. Es waren keine richtigen Flocken sondern klitzekleine Eisstückchen, die bei den Abfahrten im Auge schmerzten. An so einem bewölkten Tag kam ich nicht auf die Idee, eine Sonnenbrille zu benutzen, lernte aber jetzt, wozu eine solche außerdem ihre Daseinsberechtigung hat.

Das Schneetreiben hörte nach einer weiteren Stärkungspause auf, in der ich abzuwägen hatte, ob ich das letzte Salamibrot essen sollte, damit es mich über die letzten 28 km nach Mora trägt oder ich es besser dem Hund geben sollte, der mich dann ins Geschirr gehängt beim Zielsprint unterstützen könnte, da die verbleibende Strecke ohnehin leicht abschüssig war.

Der Hund war den gesamten Weg frei gelaufen und ich hatte ihr die Kraftschübe nach den Pausen regelrecht angemerkt. Ich entschied mich für Variante 2. Ein letztes Käsebrot für mich und die Salamistulle für die brave Hündin, die mir all ihre Freude darüber mit einem ihr typischen blitzschnellen ulkigen Umsichselbstherumhüpfen zeigte. Die Dankbarkeit und Freude, die ein Hund zu zeigen in der Lage ist, ist unvorstellbar.

Erst auf dem Weg von Oxberg nach Mora trafen wir andere Skiläufer und mit der Häufigkeit der Begegnungen sank die Bereitschaft zum Gruß. Die meisten Menschen hier oben sind mental schon etwas unterkühlt. Ich musste mich auf meinen Vasaläufen erst sehr an diese Atmosphäre gewöhnen. Extra den „Motionslauf Öppet Spår“, also den „Volkslauf“ gewählt, dachte ich beim ersten Mal, alle wären entspannt und es würde ein Event der Freude und Gemeinsamkeit werden. Bei mir sprudeln in der Vasaspur derart die Endorphine über, dass ich die gesamten 90 km grinse und am Ende des Laufes nicht nur in Schultern und Oberschenkeln, sondern auch im Gesicht Muskelkater habe. Meine Mitstreiter sind da ganz anders drauf und stapfen mit ernsten Mienen voran, unbeirrt, fast ein wenig stressig und zum größten Teil eher leidend wirkend.

Das gegeneinander Antreten liegt dem Nordländer so sehr im Blut, dass er auch Freizeitsport ohne Platzierungsanspruch verbissen betreibt. Das ist für mich etwas der Wehmutstropfen bei diesem – meinem- Lieblingsevent.

Also zurück zur gestrigen Tour – ein kleiner „Tjejvasan“ stand noch aus – das ist der Lauf für „Mädels“ – „Tjejer“ und er verläuft über die letzte 30 km von Oxberg nach Mora. Jedes Jahr früh ausgebucht ist er sehr beliebt, für mich wäre die Distanz zu wenig „Utmaning“, also Herausforderung, um all das Drumherum in Kauf zu nehmen. Eine 30 km Langlauftour schafft so gut wie jeder Langläufer auch ohne Verpflegungsstation und anfeuernde Zuschauer. Der Lauf hat sicher seine Bedeutung für die Skielite als Damenskirennen. Für Volksläufer, die von weit her anreisen, ist er wohl nicht sonderlich interessant – auch nicht die Landschaft. Die ist grandios bis Oxberg, danach eher langweilig.

Es galt also diese letzte Strecke abzuspulen, tatsächlich spannte ich mir zwischenzeitlich die Hündin vor, die dann geschätzt einen km/h auf mein Tempo draufzulegen imstande ist. Das macht Spaß und ist praktisch, wenn mit anderen Passanten zu rechnen sind, die einen frei laufenden Hund nicht immer mit Wohlwollen betrachten, obwohl Nele keine anderen Leute in der Spur belästigt.

Kurz vor Mora klingelte mein Telefon und man erfragte meinen gegenwärtigen Standort. Nun wusste ich, dass ich es schaffen würde, es war inzwischen dunkel geworden, aber die letzten Kilometer vor Mora waren Teil einer beleuchteten Abendloipe und somit war die Sicht hervorragend. Ich bestellte eine angewärmte Fanta für meinen Zieleinlauf und tatsächlich kamen Shuttelauto und unser Gespann gleichzeitig im Mora-Skistadion an. Die Hündin war immer noch topfit - mir war etwas schwindelig, denn ich hatte wohl doch nicht genug Flüssigkeit im meinem Rucksack dabei. Das Problem ist, dass kalte Flüssigkeiten im Rucksack frieren und man mehr als eine Thermoskanne nicht tragen möchte. Es war etwas zu wenig für die weite Tour.

Ich freue mich auf den nächsten offiziellen Vasalauf, der mich mit Blaubeersuppe, Energiedrinks, Bullar und an der letzten Station in Eldris extra starkem Kaffee ins Ziel tragen und wieder einmal für ein unvergessliches Erlebnis sorgen wird. Snart är det dags – bald ist es soweit!

Vasalauf 2013
Vasalauf 2013

Vasalauf 2009
Vasalauf 2006